Der Museumsverband Rheinland-Pfalz startete Mitte November die Suche nach NS-Raubgut in vier kleinen bzw. mittelgroßen Museen in Rheinland-Pfalz. Kernelement ist dabei die Überprüfung der Museumssammlungen auf NS-verfolgungsbedingt entzogene Objekte, ein sogenannte Erstcheck NS-Raubgut. Es handelt sich dabei um das erste Projekt seiner Art in unserem Bundesland. Gefördert wird es vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste über eine Laufzeit von sechs Monaten mit der maximalen Fördersumme von 40.000 Euro.
In der Reihenfolge ihrer Nennung werden die Sammlungen des Roentgen-Museums Neuwied, des Stadtmuseums Bad Dürkheim, des Eifelmuseums Mayen und des Erkenbert-Museums Frankenthal überprüft. Die Museen vereint eine lange Sammlungsgeschichte, die jeweils bis in das 19. Jahrhundert oder den Beginn des 20. Jahrhunderts zurückreicht, die Verdachtsmomente variieren von Haus zu Haus.
Für die Durchführung der Erstchecks konnte der Museumsverband Provenienzforscherin Katja Terlau aus Köln gewinnen. Die promovierte Kunsthistorikerin verfügt über langjährige Erfahrungen auf diesem Gebiet. Sie hat national und international für große Museen gearbeitet − bspw. in Köln, Düsseldorf oder Essen. Organisiert und koordiniert werden die Erstchecks vom Museumsverband Rheinland-Pfalz, hierfür steht eine vom Ministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration Rheinland-Pfalz auf zwei Jahre geförderte Koordinierungsstelle für Provenienzforschung zur Verfügung.
Roentgen-Museum Neuwied
Neuwied
Stadtmuseum im Kulturzentrum Haus Catoir
Bad Dürkheim
Eifelmuseum Mayen
Mayen
Erkenbert-Museum Frankenthal (Pfalz) (geschlossen)
Frankenthal (Pfalz)
Das Roentgen-Museum Neuwied wurde 1928 gegründet und beherbergt eine Sammlung von knapp 5.000 Objekten, davon wurden über 700 Stücke in der Zeit des Nationalsozialismus in den Bestand aufgenommen. Es handelt sich hierbei überwiegend um archäologische Funde. Als Alleinstellungsmerkmal des Museums gilt die sogenannte Roentgen- und Kinzing-Sammlung, die unter anderem Kunstmöbel aus der Werkstatt von Abraham und David Roentgen und einen Aufsatzschreibtisch des Kunsttischlers Georg Rudolph Gambs umfasst. Dieser wurde 1940 im Berliner Kunsthandel erworben, seine Provenienz ist ungeklärt. Zu den Verdachtsmomenten aus dieser Sammlung zählt außerdem ein Tafelklavier, das von seinem Besitzer 1939 erworben wurde, bevor es in den 1970er Jahren als Schenkung in die Sammlung des Roentgen-Museums gelangte. Auch eine Verbindung von Sammlungsstücken zur ehemaligen jüdischen Gemeinde Neuwied, die bis 1942 vor Ort existierte, lässt sich bislang nicht ausschließen. Einzelne Stücke stammen womöglich aus dem Besitz von jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die Opfer des Nazi-Regimes waren. Der Erstcheck soll die Provenienz der Möbel und infragestehenden Sammlungsobjekte klären.
Museumsleiterin Jennifer Stein ist zuversichtlich, dass die Überprüfung der Verdachtsmomente im Rahmen des Erstcheck-Projekts die nötige Klarheit über die Herkunft der Sammlungsstücke bringt und freut sich auf den Start:
„Das Roentgen-Museum blickt auf eine fast 100-jährige Geschichte zurück. Mit unserer Sammlungsgeschichte müssen wir uns beschäftigen – wenn es auch unbequem sein mag. Ein paar Stücke, besonders innerhalb unserer Möbelsammlung, die in den Jahren 1933-45 angekauft wurden, werfen eindeutig Fragen auf. Von dem Erstcheck erhoffe ich mir tiefere Einblicke in die Geschichte dieser Stücke. Sollte sich hieraus mehr als ein Verdachtsmoment ergeben, werden wir damit selbstverständlich transparent umgehen und alles daran setzen die entsprechenden Konsequenzen daraus zu ziehen – in Form einer gerechten und fairen Lösung. Das ist unsere Verantwortung.“
Die Gründung des Stadtmuseums Bad Dürkheim reicht ins Jahr 1872 zurück, womit es das älteste der vier am Erstcheck teilnehmenden Museen ist. Die Sammlung umfasst rund 40.000 Objekte und reicht von archäologischen Artefakten über stadtgeschichtliche Exponate bis hin zu Objekten der Weinproduktion. In der Zeit des Nationalsozialismus geriet das Museum ins Blickfeld Heinrich Himmlers, der es unter seiner Schirmherrschaft zum „Germanischen Sinnbildmuseum“ umgestalten wollte. Der Grund für dieses Vorhaben lag in der Nähe des Hauses zum Kriemhildenstuhl in Bad Dürkheim, einem römischen Steinbruch, den die Nationalsozialisten als germanische Kultstätte deuteten.
Mehrere Sammlungsstücke des Stadtmuseums weisen konkrete Verdachtsmomente auf NS-verfolgungsbedingten Entzug auf und können jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern zugeordnet werden. Darunter befinden sich der Rest eines Kleidungsstücks von Ferdinand Scheuer, das als Zeugnis der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu werten ist, sowie Fotografien, die Rosa Maas, einer international gefeierten Opernsängerin, gehörten. Sie war während des Nazi-Regimes Repressionen ausgesetzt und starb 1941 in einem jüdischen Altenheim in Mannheim. Die Bad Dürkheimer Sammlung umfasst darüber hinaus weitere Objekte, deren Herkunft ungeklärt sind – etwa ein Konvolut von 179 Küchenutensilien, das 1942 ohne Herkunftsangabe in den Bestand aufgenommen wurde. Der Erstcheck soll Aufschluss über die Herkunft dieser Objekte geben.
Das Eifelmuseum Mayen wurde 1904 gegründet und umfasst eine Sammlung von rund 20.000 Objekten, die sich vornehmlich dem Kultur- und Naturraum der Eifel widmen. Schwerpunkte der Sammlung liegen auf Geologie und Steinindustrie sowie auf Exponaten, die ortsgeschichtliche und regionale Aspekte beleuchten. Dazu zählen Möbel, Schmuck und Gerätschaften, die das häusliche Leben und den Arbeitsalltag der Menschen in der Region widerspiegeln.
Wie viele Objekte aus der Zeit des Nationalsozialismus stammen, ist nicht bekannt und soll im Rahmen des Erstchecks ermittelt werden. Insbesondere eine Judaica-Sammlung, die in der Dauerausstellung präsentiert wird, soll eingehend untersucht werden. Sie umfasst ein Konvolut von 6 Objekten, darunter zwei Matzenteller, eine Sabbatlampe, ein Bronzekessel und zwei Bücher. Der Großteil der Objekte datiert auf das 19. Jahrhundert und soll seinen Ursprung in Mayen haben. Da in Mayen bis 1941 eine jüdische Gemeinde existierte, lässt sich derzeit nicht ausschließen, dass diese und andere Sammlungsstücke mit Opfern des NS-Regimes in Verbindung stehen.
Stadtarchivar Stefan Wilden ist gespannt auf die Ergebnisse, die der Erstcheck zu Tage fördern wird:
„Leider ist Provenienzforschung im laufenden Museumsbetrieb schlichtweg kaum möglich. Wir freuen uns daher besonders beim Erstcheck-Projekt dabei sein zu dürfen und so in einem ersten Schritt mehr über die Geschichte einiger unserer Museumsobjekte zu erfahren.”
Das Erkenbert-Museum in Frankenthal wurde 1968 am heutigen Standort eingerichtet, während die Sammlung selbst bis ins Jahr 1892 zurückreicht. Mit einem Umfang von etwa 10.000 bis 15.000 Objekten zählt das Museum zu den kleineren Einrichtungen des Projekts, steht aber in seiner Sammlung den anderen Häusern in nichts nach. Zum Bestand gehören eine umfangreiche Sammlung Frankenthaler Porzellans des 18. Jahrhunderts, Archäologika aus merowingischer Zeit sowie Gemälde, Zeichnungen und Druckgrafiken von Frankenthaler Künstlern um 1600 und kunsthandwerkliche Arbeiten aus derselben Zeit. Darüber hinaus umfasst die Sammlung Gemälde, Grafiken und Zeichnungen von Frankenthaler Künstlern vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Das Erkenbert-Museum beherbergt eine Reihe von Objekten mit Verdachtsmomenten: In der Kunstsammlung des 16. und 17. Jahrhunderts betrifft dies 20 Gemälde, 100 Grafiken, 30 Metallobjekte und eine Waffensammlung mit ungeklärter Herkunft, die möglicherweise zwischen 1933 und 1945 erworben wurden. Bei der bedeutenden Sammlung Frankenthaler Porzellans des 18. Jahrhunderts ist etwa ein Drittel des Konvoluts unbekannter Herkunft. Hinzu kommen rund 20 Porzellane anderer Manufakturen, deren Objektbiografien ebenfalls ungeklärt sind.
Museumsleiterin Dr. Maria Lucia Weigel legt großen Wert darauf, die Objektbiografien der hauseigenen Sammlung zu kennen. Für sie stellt das bevorstehende Erstcheck-Projekt eine entscheidende Grundlage hierfür dar:
„Das Erkenbert-Museum beherbergt in seinen Sammlungen hoch qualitätvolle Objekte, die als Kulturerbe der Stadt Frankenthal von herausragender, überregionaler Bedeutung sind und die Grundlage der Selbstverortung der heutigen Stadtbevölkerung in ihrer Geschichte darstellen. Transparenz in Bezug auf die Eigentumsverhältnisse, in denen sich diese Objekte in der Vergangenheit befunden haben, ist die Voraussetzung für deren Präsentation im Kontext der aktuellen inhaltlichen Neukonzeption des Museums. Als kommunale Institution fühlen wir uns den Prinzipien der Washingtoner Erklärung von 1998 bezüglich NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts verpflichtet. Das nun initiierte Projekt zur Provenienzforschung bietet dem Museum die Möglichkeit, die Herkunft seiner Sammlungen offenzulegen, um daraus gegebenenfalls weiteres Handeln im Sinne einer fairen und gerechten Lösung in Abstimmung mit den Nachkommen von Betroffenen abzuleiten.”
Philipp Hosbach M.A.
Projektkoordinator Provenienzforschung
Tel. 0621-4907-1286
hosbach(at)museumsverband-rlp.de
Erreichbarkeit:
Montag bis Freitag, 8:00 - 15:30 Uhr
Gestartet: Erstcheck NS-Raubgut
(18.11.2024)
Erstcheck Neuwied
(25.11.2024)