In der Nacht vom 14. auf den 15 Juli wurde das Depot des Stadtmuseums Bad Neuenahr-Ahrweiler mit seinen Zeugnissen der Stadtgeschichte wie Gemälden, Grafiken, Skulpturen, Möbeln und archäologischen Funden geflutet. Viele haben sich nach der Jahrhundertflut spontan bereit erklärt, bei der Rettung und Wiederherstellung der in hohem Maße betroffenen Sammlungsstücke behilflich zu sein.
Mit der Dokumentation der Rettungsmaßnahmen und der Notbergungsaktion vor Ort möchten wir daran erinnern und zugleich all den ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, die die Objekte geborgen, verpackt und transportiert haben sowie den Personen und Museen, die die beschädigten Kunst- und Kulturobjekte unter ihrem Dach beherbergen, bis Restaurierungsmaßnahmen organisiert werden können, unseren Dank aussprechen!
Nach der Rettung ist vor der Restaurierung: Bergung und Erstversorgung des havarierten Kulturguts sind abgeschlossen, hier erfahren Sie, wie es seither mit der Kulturgutrettung im Ahrtal vorangeht.
In der Nacht zum 14. Juli 2021 tritt die Ahr mit bis dahin nicht gekannter Zerstörungskraft über die Ufer. Sie hinterlässt eine Spur der Verwüstung: 17.000 Haushalte sind betroffen, mindestens 135 Menschen verlieren ihr Leben, Hunderte werden verletzt, an die 9.000 Häuser zerstört, Kulturgut vernichtet. Auch in anderen Teilen des Landes treten Flüsse und Bäche über die Ufer.
Bereits am Donnerstag, den 15. Juli 2021 startet der Museumsverband Rheinland-Pfalz eine landesweite Abfrage an die rheinland-pfälzischen Museen. Noch ist unklar, ob Museen von der Flutkatastrophe betroffen sind und falls ja, welche Schäden sie zu verzeichnen haben. Es erreichen den Verband jedoch nur wenige Rückmeldungen aus den betroffenen Regionen.
Die Museen in den von Hochwasser und Flut betroffenen Gebieten sind auch am Freitag, den 16. Juli 2021 nach wie vor nicht zu erreichen. Sie sind von der Außenwelt abgeschnitten, Internet und Telefon funktionieren nicht. Andere sind bereits mit Aufräumarbeiten vor Ort beschäftigt. Der Verband versucht deshalb über alternative Wege, Kontakt mit den Museen aufzunehmen – beispielsweise über regionale Tourismuseinrichtungen. Den Museumsverband erreichen bald darauf Hilfsangebote, wie etwa von Blue Shield e.V., einer Organisation, die sich für den Schutz von Kulturgütern in Krisenzeiten einsetzt.
Es zeichnet sich ab, dass das Ahrtal besonders stark von Hochwasserschäden betroffen ist. Um die für das Ahrtal wichtigen kulturhistorischen Zeugnisse zu retten, gibt es in Absprache mit dem zuständigen Ministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration einen Schulterschluss zwischen der Landesstelle Bestandserhaltung, dem Landesbibliothekszentrum, dem Landesarchiv und dem Museumsverband Rheinland-Pfalz. Der Museumsverbands startet einen zweiten Aufruf an Museen zur Mithilfe bei der Meldung von Schäden an Museen.
Ein erster Hilferuf erreicht den Verband vom Schützenmuseum in Ahrweiler: Das Wasser stand zwei Meter hoch in den Museumsräumen. Die komplette Sammlung weist Wasserschäden auf. Das sogenannte „Seelenbuch“, ein Mitgliederverzeichnis der Schützen, das bis ins Jahr 1655 zurückreicht, konnte geborgen werden. Auch Protokoll- und Kassenbücher aus den vergangenen 150 Jahren, Schützensilber sowie historische Waffen und Seidenfahnen der Ahrweiler Bürgerschützen wurden mithilfe von neun Neusser Grenadieren aus einem Gemisch aus Sediment, Fäkalien und Öl gerettet. Nun müssen sie dringend fachmännisch versorgt und restauriert werden. Am Gebäude gibt es ebenfalls massive Wasserschäden.
Über die Rettung kunsthistorischer Schätze des Schützenmuseum | Blick aktuell (03.08.2021)
Immer noch gibt es zahlreiche Museen, von denen keinerlei Informationen vorliegen und zu denen kein Kontakt hergestellt werden kann. Aufrufe werden vom Museumsverband Rheinland-Pfalz auch über Facebook und Twitter gestartet.
Blue Shield Deutschland erreicht über den Museumsverband ein Hilfsgesuch zur Bergung der historischen Seidenfahnen des Schützenmuseums. Der Verband der Restauratoren (VDR) unterstützt den Museumsverband Rheinland-Pfalz. Binnen eines Tages wird die Bergung und Erstversorgung der Schützenfahnen organisiert.
Auch für das „Seelenbuch“ der Schützen (1655) konnte eine Lösung gefunden werden. Eine Mitarbeiterin des Landesbibliothekzentrums Koblenz nimmt sie neben weiteren mittelalterlichen Handschriften und Kirchenbüchern vor Ort in Empfang. Das Seelenbuch wird in eine Restaurierungswerkstatt nach Koblenz überführt.
Rettung des Seelenbuchs | SWR aktuell | FERNSEH-BEITRAG
Die Technische Hochschule Köln (Fachbereich Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft) übernimmt in Ahrweiler Protokoll- und Kassenbücher der Ahrweiler Schützen und sagt zu, sie kostenlos zu restaurieren.
Die Vorsitzende des Museumsverbands, Dr. Elisabeth Dühr, schreibt Direktor*innen aller größeren Häuser im Land mit der Bitte um Unterstützung an. Aufgrund der Sommerferienzeit gibt es allerdings nur wenig Resonanz.
Zwei Restaurator*innen aus Waiblingen, Baden-Württemberg helfen vor Ort beim Bergen und fachgerechten Verpacken der fünf historischen Fahnen des Schützenmuseum Ahrweiler. In ihrer Werkstatt in Waiblingen findet die Erstversorgung der Fahnen statt.
Den Museumsverband erreicht ein Notruf der Museumsleiterin des Stadtmuseums Bad Neuenahr-Ahrweiler. Beinahe die gesamte Sammlung der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler seit 1906 ist in einer von der Ahr gefluteten Tiefgarage untergebracht. Das Depot mit knapp 2.800 Objekten ist jedoch vorerst nicht zugänglich: Die Zufahrtsstraßen sind zum großen Teil blockiert, die Tiefgarage muss erst leer gepumpt und die darin befindlichen Fahrzeuge müssen geborgen werden.
Der Museumsverband Rheinland-Pfalz bittet um Mithilfe bei der Bergung des Depots des Stadtmuseums. Noch werden parallel verschiedene Szenarien für die Notbergung verfolgt und bis ins Detail geplant, da zu diesem Zeitpunkt nicht klar ist, was die Helfer vor Ort erwartet und mit welcher Infrastruktur geplant werden kann.
Erste Hilfsangebote gehen ein. Sie reichen von dem Angebot der Hilfe vor Ort, über Spenden an Verpackungsmaterial bis hin zum Angebot von Restaurierungspatenschaften. Der Museumsverband setzt sich für die Restaurierung der fünf Ahrweiler Schützenfahnen ein. Die Ernst von Siemens Kunststiftung sagt schnell und unbürokratisch Fördermittel hierfür zu.
Restaurierung historischer Schützenfahnen gesichert | Ernst von Siemens Kunststiftung
Die Feuerwehr pumpt das Untergeschoss der Tiefgarage aus und birgt zahlreiche Fahrzeuge, die den Weg zum Museumsdepot versperren. Auf Anregung des Museumsverbands stellt die Stadt ein Amtshilfeersuchen beim Landesverwaltungsamt Thüringen für den Kulturgutschutzzug der Feuerwehr in Weimar. Ein zweites Amtshilfeersuchen geht an die Stadt Köln, um den Abrollcontainer Kulturgutschutz des Historischen Archivs der Stadt Köln samt Personal anzufordern.
Der Kulturgutschutzzug aus Weimar setzt sich nach Ahrweiler in Bewegung. Vor Ort wird der Kulturgutschutzzug aus Thüringen zwei Tage lang von der Katastrophenschutzeinheit Baden-Württemberg – Feuerwehr Dunningen und einen Tag von der Feuerwehr Neuhaus am Rennweg aus Thüringen, Landkreis Sonneberg, unterstützt. Der geborgene Bestand ist breit gefächert und umfasst viele Material- und Objektgruppen: Innerhalb von vier Tagen werden Gemälde, Grafiken, Skulpturen, Möbel und archäologische Funde in der Ahrweiler Tiefgarage geborgen und nach Köln geschickt.
Kulturgüter aus dem Stadtmuseum werden in Sicherheit gebracht | THW Hessen, RLP & Saarland | VIDEO
Der erste Transport aus Ahrweiler trifft am Nachmittag beim mobilen Abrollcontainer Kulturgutschutz des Historischen Archivs der Stadt Köln ein. Die Lieferung enthält u.a. Keramik, Papierarbeiten und ca. 25 Gemälden. Die Keramiken und Papierarbeiten werden vom Team des Archivs versorgt und die Papierarbeiten nach einer ersten Reinigung eingefroren. Die geretteten Objekte müssen über mehrere Tage hinweg von Restaurator*innen des Historischen Archivs der Stadt Köln sowie Student*innen und Professor*innen des dortigen Instituts für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft der Technischen Hochschule am und um den Kulturgutschutzcontainer des Archivs erstversorgt werden.
Die Gemälde können nicht in Köln zwischengereinigt werden (Abnahme der Schlammschicht und Schimmel). Eine sofortige fachmännische Versorgung der Gemälde ist notwendig. Es erfolgt eine Zwischenlagerung der geretteten Gemälde auf dem Gelände der Kunstspedition Hasenkamp in Kerpen bei Köln.
Eine weitere Fuhre aus Ahrweiler kommt in Köln an. Ein aus dem Ahrweiler Depot gerettetes fränkisches Baumgrab wird direkt ins Römisch-Germanische Zentralmuseum nach Mainz weiter transportiert. Das RGZM übernimmt Mitte August dann das gesamte archäologische Material des Stadtmuseums. Die etwa 500 Objekte kommen in 90 Kisten in Mainz an, darunter Keramik, Gläser, Fossilien, mittelalterliche Alltagsgegenstände und vieles mehr.
Restauratoren säubern archäologische Objekte von der Ahr | MONOPOL (04.08.2021)
Ahrweiler: In Scherben zerfallen | nd-aktuell (15.10.2021)
Das Gemälde-Konvolut wird von Hasenkamp nach Karlsruhe weitertransportiert, wo sich das ZKM bereiterklärt, eine Bearbeitung in den eigenen Restaurierungswerkstätten durchzuführen oder eine weitere Verteilung zu organisieren.
Beschädigte Kunstobjekte von der Ahr im ZKM: Was noch zu retten ist | MONOPOL (08.08.2021)
Die Bergungsarbeiten in Ahrweiler können nach vier Tagen abgeschlossen werden. Die letzte Fuhre mit Ahrweiler Sammlungsbeständen rollt beim Historischen Archiv der Stadt Köln an.
Unterstützung aus ganz Deutschland: Restauratoren kämpfen um jedes Stück | SWR Aktuell (02.08.2021)
An diesem Tag steht die Verteilung des geretteten Sammlungsguts an drei Museen an: Die Skulpturen, Möbel und Teile eines großen Portals gehen ins Depot des Dom- und Diözesanmuseums in Mainz sowie weitere archäologische Fundstücke an das Römisch-Germanische Zentralmuseum in Mainz.
Das Dommuseum in Mainz hilf den Museen im Ahrtal | www.dommuseum-mainz.de (09.10.2021)
55 gesicherte Gemälde werden von Köln aus ins Depot des Stadtmuseum Simeonstift Trier geliefert. Elisabeth Dühr, Direktorin des Stadtmuseums und Vorsitzende des Museumsverbands RLP, nimmt die Objekte aus dem Ahrtal in ihre Obhut. Unter Mithilfe des Trierer Restaurators Dimitri Scher, der Restauratoren Ludwig Eiden und Frank Caspers aus dem Rheinischen Landesmuseum Trier sowie der leitenden Restauratorin Eva Brachert aus dem Landesmuseum in Mainz wurden die größtenteils stark beschädigten und verschmutzten Kunstwerke ausgepackt, begutachtet und zur Trocknung eingelagert.
„Wo Menschen um ihr Leben und ihre Existenz kämpfen, scheint die Restaurierung von Kunstwerken zunächst zweitrangig“, erklärt Museumsdirektorin Dr. Elisabeth Dühr. „Für die Identität der Menschen im Ahrtal sind diese Werke jedoch von großer Bedeutung, ihre Restaurierung ist ein wichtiger Beitrag zur Zukunftsfähigkeit der Region. Ich hoffe, dass in naher Zukunft eine langfristige Lösung zur Bewältigung dieser Aufgabe gefunden wird.“
Museen nehmen beschädigte Kunstobjekte von der Ahr in Obhut | ZEIT ONLINE (5.08.2021)
Der Museumsverband startet einen Spendenaufruf zur Rettung der Ahrweiler Sammlungsbestände.
Ahrtal: Das kulturelle Gedächtnis einer Region schützen | Rhein-Zeitung (06.08.2021)
Der letzte Transport von Objekten des Stadtmuseums, die sich noch im Stadtarchiv und bei Hasenkamp in Köln befinden, geht nach Altenstadt in die Restaurierungswerkstatt des Klosters Engelthal, einem Filialbetrieb des Dom- und Diözesanmuseums in Mainz.
Interview mit Dr. Anja Lempges | YouTube-Kanal Bistum Mainz (7.10.21)
Die Bergung und Erstversorgung des geborgenen Kulturguts ist abgeschlossen – nun gilt es, die Restaurierung zu koordinieren und organisieren. Wir danken noch einmal allen Helferinnen und Helfern sowie auch den unterstützenden Einrichtungen!
Kunstwerke nach der Flut: Porentief rein | Süddeutsche Zeitung (20.08.2021)
Kulturgüter von Wasser und Schlamm zerstört: Elisabeth Dühr im Gespräch | Deutschlandfunk Kultur (09.08.2021)
Nach der Flut: Museen helfen, Kulturgüter zu retten | Bettina Scheeder im Gespräch | WDR (11.08.2021)
Verschlammte Kunst: Wie Kulturgüter von der Ahr gerettet werden | Frankfurter Neue Presse | ntv (12.08.2021)